Lebensverlauf, Zufall und individuelle Kriminalprognose: Gefahren beim Erstellen einer Biografie

Retrospektiv den Lebensverlauf eines anderen Menschen zu beschreiben, ist ein Akt der Geschichtsschreibung, mit all ihren Problemen. Zu unterscheiden ist zwischen den historischen Geschehnissen und ihrer zeitlichen Abfolge, also der im besten Fall einigermaßen vollständigen und durch Indizien, Spure...

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Bibliographische Detailangaben
1. VerfasserIn: Kröber, Hans-Ludwig (VerfasserIn)
Medienart: Elektronisch/Druck Aufsatz
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: 2018
In: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
Jahr: 2018, Band: 12, Heft: 1, Seiten: 73-82
Online Zugang: Volltext (doi)
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Beschreibung
Zusammenfassung:Retrospektiv den Lebensverlauf eines anderen Menschen zu beschreiben, ist ein Akt der Geschichtsschreibung, mit all ihren Problemen. Zu unterscheiden ist zwischen den historischen Geschehnissen und ihrer zeitlichen Abfolge, also der im besten Fall einigermaßen vollständigen und durch Indizien, Spuren, Dokumente gesicherten Chronik (res gestae) einerseits. Ihr gegenüber steht die ordnende, Zusammenhänge herstellende Repräsentation dieser Geschehnisse in einem von Menschen geschaffenen, um Nachvollzug oder Rekonstruktion bemühten Narrativ, die Geschichtsschreibung (historia rerum gestarum). Narrativ heißt zu Deutsch: eine Geschichte. Forensische Psychiater und Psychologen sind in einem erheblichen Umfang mit dem Verfassen von Biografien befasst, bei denen es sinnvoll wäre, sich der Irrtumsmöglichkeiten und auch der Möglichkeiten zu fahrlässigem Handeln bewusst zu sein. Das Verfassen der Biografie über einen anderen erfolgt in einem Machtzusammenhang; die erstellte Lebensgeschichte hat möglicherweise schwerwiegende Folgen für den Biografierten. Sie steht unter Wahrheitspflicht, auch wenn nur Annäherungen an die Wahrheit möglich sind, v. a. durch größtmögliche Sorgfalt und Unvoreingenommenheit. Zu den Hauptgefahren zählen die vorschnelle Formatierung und Reduktion der Biografie auf erlernte kriminologische oder psychologische Schemata. Abgelehnt wird jedoch das Angebot, die Reduktion der Informationen auf die Spitze zu treiben und für die Prognostik künftigen Legalverhaltens nur noch die systematisch reduzierten Informationen der standardisierten Instrumente zu verwenden.
ISSN:1862-7072
DOI:10.1007/s11757-017-0457-9