%0 Book %A Seebode, Dennis %I Diplomica-Verl. %D 2011 %C Hamburg %G German %@ 9783842810815 %T Wegschließen - und zwar für immer?: die immer wiederkehrende Frage nach dem Umgang mit Sexualstraftätern %X Inhaltsangabe: Einzelne grausame sexuelle Gewalttaten führen zu der immer wiederkehrenden Frage, wie mit Sexualstraftätern umgegangen werden soll. Kaum ein anderes Thema versetzt und beängstigt die Öffentlichkeit in gleichem Umfang wie Sexualstraftaten. Besonders, wenn Kinder Opfer sexueller Gewalttaten werden, ist die Empörung und Abscheu gegenüber der Tat und dem Täter groß. Medien und Politiker versuchen hierbei in gleichem Ausmaß, durch aggressive Berichterstattung und populistische Parolen Profit zu schlagen. So teilte z.B. der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder im Juli 2001 folgendes in der Bild am Sonntag mit: Ich komme mehr und mehr zu der Auffassung, dass erwachsene Männer, die sich an kleinen Mädchen vergehen, nicht therapierbar sind. Deswegen kann es da nur eine Lösung geben: Wegschließen - und zwar für immer! Hierbei sprach Herr Schröder wohl einen Großteil der Bevölkerung aus der Seele. Die Kritik der Fachleute über die Aussagen des damaligen Bundeskanzlers ging hingegen in der breiten Zustimmung der Bevölkerung unter. Die dabei so aufgebauschten Sexualmorde in den Medien, machen dabei nur einen sehr kleinen Anteil der Delikte der sexuellen Selbstbestimmung insgesamt aus. Sexualdelikte machen nicht einmal 1% der insgesamt polizeilich registrierten Straftaten aus. Emotionsheischende und Angst fördernde Schlagzeilen und Artikel suggerieren einen anderen Eindruck. Die Berichterstattung trägt daher meist wenig zur Aufklärung bei, sondern steigert in erster Linie die Auflage. Zwei schreckliche Sexualmorde in den Jahren 1996 und 1997 waren der Anlass, innerhalb von 12 Monaten zwei Gesetze zu verabschieden, die den Umgang mit Sexualstraftätern im StGB und in der StPO verschärften. Der Gesellschaft wird dabei vorgetäuscht, mit restriktiveren Maßnahmen gebe es eine ultimative Sicherheit. Durch zahlreiche Forschungen von Kriminologen, Psychologen und Psychiatern, die den Stereotyp von unheilbar kranken, psychopatischen, nicht behandelbaren und höchst rückfallgefährdeten Sexualtriebtätern widerlegt haben, schüren Politiker weiterhin Angst und beschwören hartes Durchgreifen. Dies hat in der Verschärfung der Sicherheitsverwahrung in Form eines Vorbehaltes der Sicherungsverwahrung und der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit der Verabschiedung der neu eingeführten §§ 66a und 66b StGB sein vorläufiges Ende gefunden. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen kann nach Verbüßung der Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung in nahezu aussichtslosen Fällen angeordnet werden und bleibt im Strafrecht die ultima ratio. Mehr Sicherheit und eine Beruhigung der Öffentlichkeit konnte mit den Verschärfungen im Umgang mit Sexualstraftätern allerdings nicht erreicht werden. Die schwierigen Fragen, inwieweit dem Resozialisierungsanspruch des Sexualstraftäters gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Vorrang einzuräumen ist, welche Erkenntnisse zu Therapieerfahrungen und deren Wirksamkeit vorliegen, soll u.a. im folgenden Verlauf beantwortet werden. Hierfür wird im ersten Kapitel zunächst die Kriminalitätsentwicklung nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vorgestellt und die gefühlte Kriminalitätsentwicklung der Bevölkerung erläutert. Zudem wird aufgezeigt, inwieweit die Massenmedien den öffentlichen Umgang mit Sexualdelinquenz maßgeblich beeinflussen. Im anschließenden zweiten Kapitel wird auf die deutsche Sexualstraftätergesetzgebung eingegangen, wobei eine Übersicht über Wandlungen des Sexualstrafrechts bis zum derzeitigen gültigen Gesetz aufgestellt wird und der damit verbundenen Auswirkungen analysiert werden. Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über die gesetzlichen Möglichkeiten der Sexualstraftäterbehandlung, deren praktische Umsetzung anschließend im vierten Kapitel vorgestellt wird. Letztlich wird innerhalb der Zusammenfassung ein Ausblick über zukünftige Reformvorhaben aufgeführt, dessen Abschluss Schlussfolgerungen über die immer wiederkehrende Frage nach dem Umgang mit Sexualstraftätern bildet.Textprobe: Kapitel 1.4, Das Politikinteresse an schwerwiegenden Sexualstraftaten: Kriminalitätsbekämpfung ist ein ständiges Thema für Politiker in Wahlperioden. ‘Für Politiker geht es darum, Stimmungen unter ihren Wählern zu erspüren.’ Wenn in der Öffentlichkeit ein Sexualverbrechen bekannt wird, wird dieses von Politikern skandalisiert und benutzt, um Versagen anzuprangern und härteres Durchgreifen zu versprechen. Böllinger versucht diese opportunistischen Motive und Nahziele der Politiker verständlicher zu machen: ‘Machterhaltung und –gewinn durch populistische Parolen sowie eine schlichte Nachfrageorientierung in Verbindung mit Verzicht auf die eigentlich wesentliche Funktion von politischen Parteien zur Information und Aufklärung der Bürger und der Konzeptualisierung von Lösungsoptionen. Mittelbar trägt dazu auch die gefällige Abstimmung mit den Medien bei, die über ihre Nachrichtenkonstruktion und direkte Finanzierung ihrerseits maßgeblich zu Machtgewinn und erhalt von Politikern beitragen.’ Seltene sexuell motivierte Tötungsdelikte binden Ängste vor sexuellen Übergriffen im sozialen Nahraum. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Sexualstraftäter mit ihren Opfern gut bekannt ist (siehe Kapitel 1.1.3 Täter-Opfer-Beziehung), wird verdrängt. Angst vor Fremdtätern taucht dann im erhöhten Maße wieder auf. Die Bevölkerung fühlt sich vor diesen Gefahren ausgeliefert und ohnmächtig, wodurch das Bedürfnis nach Schutz wächst. Dieses Sicherheitsbedürfnis versuchen Politik und Justiz durch ein symbolisches Strafrecht demonstrativ zu befriedigen. 1.4.1, Symbolisches Strafrecht: Wenn in der Bevölkerung durch Medien der Eindruck entsteht, dass die Kriminalität und vor allem schwere Delikte stark ansteigen, dann hat das auch Folgen auf die Kriminalpolitik. Die Massenmedien werden wegen ihrer Funktion und faktischen Kontroll- und Steuerungs-Macht nicht umsonst als ‘Vierte Gewalt im Staate’ bezeichnet. Pfeiffer, Windzio und Kleimann führen an, dass die fünf Reformgesetze seit 1992 immer mit Strafverschärfungen verbunden waren. In den vergangenen 12 Jahren hat die Gesetzgebende Gewalt zu 40 Straftatbeständen die Strafandrohung drastisch erhöht. Die Gerichte haben dazu vergleichbar ihre Sanktionspraxis verschärft. Bei der schweren Körperverletzung etwa ist die Quote der Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von 5,7% auf 6,9% zwischen 1990 bis 2002 angestiegen. Die Dauer der Haftstrafe hat sich gleichzeitig um fast ein Drittel erhöht. Dieses zusammen bewirkte laut Pfeiffer, dass sich die Summe der Haftjahre, die Gerichte pro 100 Angeklagte dieser Tätergruppe verhängt haben, von 6,2 auf 10 Jahre erhöht hat. Dieser Wandel wäre nachvollziehbar gewesen, wenn sich im gleichen Atemzug die Tatschwere in gleichem Maße erhöht hätte. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Die erwähnten zunehmenden verschärften Sanktionen für Sexual- und Gewaltstraftäter beruhigen allenfalls die Gemüter nach einer Massenmedienwirksam aufgebauschten Straftat. Kury verweist auf der Internetplattform ‘(ITP) Informationen und Beratung zum Thema Pädophilie’ darauf, dass die Erreichung einer substantiellen Reduzierung der Kriminalitätsbelastung offen bleibt. ...